es ist nicht alles Gold ... (Text von Ralf Roschlau)

Nachfolgenden Text fand ich auf der Seite  http://cms.gruene-lauffen.de/article.php?story=20050123055039582
Dass es sich hierbei um eine offizielle Seite von Bündnis 90 / Die Grünen handelt ist Zufall und gibt nicht meine politische Gesinnung wieder.
An dieser Stelle noch ein Verweis auf einen Text der im DER SPIEGEL veröffentlicht wurde. Ich habe diese Ausgabe lange vor meiner Abreise gelesen.
Die hier beschriebenen Sachverhalte kann ich weder bestätigen noch dementieren. Dazu weiss ich einfach zu wenig über diese Region. Nach fast 2 Monaten im Land kann mir das aber gut vorstellen. http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,340166,00.html

Sonntag, 23. Januar 2005, 05:50 Uhr CET
Beitrag von: R.Roschlau Wenn man China jährlich ein- bis zweimal besucht und einem dann immer wieder neue Dinge auffallen, dann bedeutet das: China beeindruckt, bedrückt und bewegt - aber auf keinen Fall begeistert - mich als regelmäßigen (grünen) Besucher auf Geschäftsreise in China. Die Internetwelt macht es möglich, dass ich diesen Artikel heute, am 23.1. aus einem Hotel in Shanghai auf die Webseite stelle.

Vielen meinen Freunden habe ich immer wieder den Satz gesagt: China wird das 21. Jahrhundert beherrschen, die Welt spalten, in jedem Fall aber die Welt wie wir sie heute kennen verändern. Als Lauffener Grüner reist man mit lokalen Problemen wie Nordtangente, Ackerlandverbauung (Sandäcker), mangelhaftem Personennahverkehr, einem (zweifelhaften) Atomkraftwerk in Neckarwestheim, usw. an. Man erkennt schnell, wie relativ klein und bescheiden sich diese Fragen im globalen Umfeld ausmachen.

Ein Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern, gigantischen Wirtschaftszonen wie Guangzhou (Kanton) in Südchina mit seinen 80 Millionen Einwohnern, 70% davon auf einem Gebiet mit einer Fläche von 200 x 300 km verteilt, der Kontraststadt Shanghai mit nunmehr 20 Millionen Einwohnern (nicht das Umfeld beinhaltend) erschlägt einen geradezu. Die Grenzstadt Shenzen am Stadtrand von Hongkong war bis Mitte der 80er Jahre eine landwirtschaftlich geprägte Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern (also 2 x die Größe Lauffens). Heute schätzt man den Kern der Stadt auf 6 Mio. Einwohner. Tatsache ist aber, dass man zwischen Shenzen und der Provinzhauptstadt Kanton (Guangzhou) auf den 100 km Entfernung -mit bestens ausgebauter Autobahn- keine Stadtgrenze erkennt. Unzählige Produktions- und Handelsbetriebe haben sich hier in nur 20-25 Jahren angesiedelt. Die direkt sichtbare Folge: unkontrollierte Urbanisierung, unkontrollierter Raubbau an der Umwelt, Smog zu fast jeder Jahrszeit, verschmutzte Gewässer, gigantischer CO2- Ausstoß, usw. Die Regierung gibt sich zwar sehr Mühe, viele Gebiete wieder zu begrünen und zu reinigen, aber die wirtschaftliche Dynamik dieses Gebietes steht dem entgegen.

Mein Sohn schrieb mir eine SMS mit Grüßen an mich "im Land der aufgehenden Sonne". Ich schrieb zurück, dass dort die Sonne für uns zwar aufgehen mag, aber die Arbeitsplätze in Europa dafür untergehen. Immer noch hat China 800 Millionen Einwohner, die unterhalb der von der OECD festgelegten Armutsgrenze leben. Sie bilden das Reservoir für die Zukunft, um eventuell auch noch die restlichen Arbeitsplätze in der Welt nach China zu holen. Die restlichen 500 Millionen liegen bereits über der Armutsgrenze, wovon man ca. 200 Millionen bis maximal zum unteren Mittelstand zählen kann. Die restlichen 300 Millionen stellen das Potential der Fabrikarbeiter dar, die aus ganz China in die Wirtschaftszonen anreisen, um dort ohne ihre Familien zu leben und zu arbeiten. Wer Bücher von Spencer Sinclair gelesen hat, der die Zustände im frühkapitalistischen Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt, fühlt sich in China "live" in diese Zeit zurück versetzt.

Ich habe eben geschrieben, dass die Arbeiten in den Fabriken leben und arbeiten. Dies ist immer wörtlich zu verstehen, d.h. der Begriff "leben" darf zunächst nicht mit unseren Augen definiert werden. China hat immer noch eine 6 - Tage Woche, lediglich der Sonntag ist (überwiegend) Freizeit - für die meisten in einer fremden Stadt. Jeder Betrieb stellt seinen Arbeitern so genannte "dormitories" also Schlafburgen/Schlafstätten zur Verfügung oder bezahlt zumindest den Aufenthalt in einem öffentlichen "dormitory".

Einige Beispiele dafür aus den Betrieben, die ich dort besuchen konnte: bei einem aus westlicher Sicht fortschrittlichen Betrieb teilen sich 4 Arbeiter ein Zimmer mit 15 qm und Einzelbetten. Die Vorarbeiter teilen sich zu zweit ein solches Zimmer. Der Betriebsleiter bekommt das Zimmer alleine. Jedes der Zimmer hat ein eigenes Bad und Toilette. In einem "normalen" Betrieb teilen sich bereits 6-8 Arbeiter dieses Zimmer (dann mit Stockbetten) und je 2-4 Zimmer teilt man sich Bad und Toilette. Viele Betriebe haben Zimmer für 8 - 12 Mitarbeiter, 3-stöckigen Stockbetten und es gibt dann nur noch Gemeinschaftswaschraum und - toiletten. Diese Zustände würden wir bereits ab dem chinesischen "normal" als eher "unmenschlich" bezeichnen, wenn man davon ausgeht, dass diese Arbeiter aus sehr weit entfernten Provinzen kommen, wo deren Familien leben. Außer den Sonntagen sind lediglich 14 Tage - maximal 20 Tage am chinesischen Neujahr frei, wo die Betriebe geschlossen sind und die Arbeiter dann endlich (einmal im Jahr) nach Hause zu ihren Familien reisen.

Zurück zu den Arbeitsbedingungen, den alleine schon dieser Urlaub gilt für die Unternehmen als Luxus. Jeder Betrieb stellt seinen Mitarbeitern 3 warme Mahlzeiten zur Verfügung, die als Teil des Lohns gesehen werden. Diese Mahlzeiten werden gemeinsam in einer Großkantine eingenommen. Jeder Betrieb hat also üblicherweise eine recht große Küche.

Nun zum eigentlichen Kern : dem Lohn. Die Löhne differieren je nach Branche bereits in einer Bandbreite von umgerechnet 100 - 150 €/ je Monat für Fabrikarbeiter, im Falle der 150 € bereits inkl. der Überstunden. Vorarbeiter erhalten 200 - 400 € pro Monat, oft auch etwas darüber. Dieses Geld wird üblicherweise zu mindestens 2/3 von den Arbeitern nach Hause geschickt, wo ihre Familien davon leben (können).

Ich besuchte u.a. einen Betrieb, der Druckmaschinen produziert. An die 10.000 Maschinen verlassen dort jährlich das Werksgelände, die Hälfte davon geht ins Ausland, die andere Hälfte wird in China verkauft. Der Betrieb hat wie üblich noch andere Aktivitäten und beschäftigt insgesamt knapp 2000 MitarbeiterInnen. Das gesamte Lohn- und Gehaltsniveau dieser 2000 Personen, ohne Kosten für Verpflegung und Unterbringung, liegt umgerechnet bei ca. 4 Mio. €. Rentenversicherung gibt es nicht, denn die "älteren" werden auch heute noch in die Familie des ersten Sohns integriert und ernährt. Pflege- und Arbeitslosenversicherung gibt es natürlich ebenfalls nicht. Wenn man arbeitslos ist, geht man entweder zurück in seine Provinz oder sucht ohne irgendwelches Einkommen andere Arbeit.

Krankenversicherung ist natürlich auch nicht zu entrichten, denn der immer noch nach außen kommunistische Staat sorgt hier staatlich vor. Die chinesische Medizin beruht immer noch auf wegen Pharmazie und vielen Naturmitteln, einem der wenigen positiven Aspekte für mich als "Grüner in China".

Und nun der Lohnvergleich zu Deutschland: unser Unternehmen am (für die MitarbeiterInnen garantierten) Standort Deutschland auf der Basis unserer 350 beschäftigten Personen liegt bei 18,5 Mio. € inkl. aller Lohnnebenkosten.

2000 Personen China - Fabrik = 4 Mio. €
350 Personen Marabuwerke, Tamm = 18,5 Mio. €

Sind damit die Probleme Europas jedem klar? Sicher ja, aber Lösungen sind leider fast unmöglich, denn unser Kostensystem (trotz billiger Importe aus China) macht eben ein Grundeinkommen über 1000 - 1200 € notwendig.

Zurück zu China: der Verkehr steht mehr und mehr kurz vor dem Zusammenbruch - und die Anzahl der Pkws wird sich in den nächsten 5 Jahren verdoppeln - und in den nächsten 10 Jahren verdreifachen. Ein entsprechender Verbrauch an Kraftstoffen geht damit einher. Allen muß aber klar sein: unsere Weltrohölbestände werden ja nicht größer.

Der Rohstoffhunger der produzierenden Industrie ist nicht stillbar. Neben Rohöl sorgen der chinesische Hunger nach Stahl, Chemieprodukten, u.v.a.m. für steigende Rohstoffpreise weltweit und Verknappung der zur Verfügung stehenden Ressourcen weltweit.

Ein Beispiel für die Verbrechen an der Umwelt ist das was ich "Bergbeispiel" nenne. Wenn man eine Straße baut und der gerade Weg über/unter einem Hügel oder um diesen herum führen müsste, halten sich die Chinesen nicht mit Tunnel-, Brücken- oder Umfahrungsbau auf: der Hügel wird dort wo die Straße durchführt abgetragen, d.h. die Straßenführung bleibt immer gerade, aber die Hügel verschwinden - oder werden zu zwei geteilten Hügeln.

Ein anderes Beispiel: Fabrikneubauten
Im deutschen Verfahren dauert es Jahre bis zur Fertigstellung, und das ist auch gut so. In China dauert es Monate, was zwar wettbewerbsfähig ist, aber sicher nicht gut so. Positiv: Industrieland ist üblicherweise nicht für immer zu kaufen, denn das Land gehört "allen". Also "kauft" oder besser "least" man das Land für üblicherweise 50 Jahre.

Kostenbeispiel: Gelände 200 x 300 m Fläche = 60.000 qm - Kosten dafür ca. umgerechnet 250.000 €, also knapp 4 € je qm, direkt neben der Autobahn, bei uns sicher ein unmögliches Schnäppchen. Wenn es sich dabei um Farmland handelt kommen noch ca. 20-30.000 € hinzu, da man dem Bauern neues Farmland zur landwirtschaftlichen Erschließung finanziert.

Und die Kosten in Deutschland: unter 30-50 € (in wirtschaftlich schwachen Gebieten) geht nichts. In den Ballungsgebieten ist man dann mit 150 - 250 € je qm "dabei2. Nach der sehr schnellen und unbürokratischen Genehmigung -leider ohne entsprechenden Umweltauflagen- ziehen Baukolonnen die Fabrikbauten in 3-6 Monaten je nach Komplexität und Größe hoch. Die Bauarbeiter wohnen dann für diese Zeit in Zeltstädten rund um den Neubau mit mobilen Garküchen, Feldbetten, Plumpsklo, und Gartenschlauchduschen. Ein von mir besichtigter sehr repräsentativer Neubau mit ca. 18.000 qm Fläche lag dann bei Gesamtkosten von 4 Mio. €, inkl. dem Grundstück wie oben beschrieben. Dieser Betrieb ist der von mir oben genannte "fortschrittliche" Betrieb mit 4er Zimmern, schöner Kantine, guten Freizeitmöglichkeiten auf dem Gelände, usw.

Die Baukosten unseres Neubaus in Bietigheim inkl. dem Grundstück für ein Gebäude mit etwa einem Drittel des oben beschriebenen chinesischen Gebäudes lagen bei 17 Mio. €, die Zeit ab Kauf, Planung bis Fertigstellung war mit knapp 2 Jahren eher schnell für deutsche Verhältnisse. Aber auch hier: eher Chancenungleichheit für den Standort Deutschland.

Nur abschließend erwähnen will ich hier die Probleme der Produktfälschungen, Patentverletzungen, Warenzeichenverletzungen, etc., die mittlerweile auch unser Unternehmen betreffen. Hier wird seitens der chinesischen Regierung sehr wenig getan, um unsere Industrie zu schützen. Ein Beispiel: unser Produkt -eine Druckfarbe- wird momentan von chinesischen Fälschern in einer 1:1 Kopie nachgemacht und vertrieben. Alles an dem Produkt ist gefälscht: die Dose, das Etikett, die Farbe - und das Original ist tatsächlich kaum von der Fälschung zu unterscheiden. Lediglich der Preis ist ca. um die Hälfte billiger als unser Preis. Dafür sind dann die Inhaltsstoffe der Fälschung für den Anwender um ein Vielfaches gefährlicher. In Deutschland würde man Anzeige erstatten und in 4 Wochen oder weniger wäre das Thema vom Tisch. Nicht so in China. Die Polizei wird nur aktiv, wenn man die gesamte Beweiskette präsentiert. Eine Detektei arbeitet für uns seit 6 Monaten für viel Geld, um diese Beweise zu sammeln. Als wir dann damit zur Polizei gingen, versprach man uns eine Razzia am nächsten Tag bei der Fälscherfabrik. Aber (oh Wunder): am nächsten Tag war diese Fabrik vollkommen leer. Der Inhaber und Betreiber hieß die Polizisten, unsere Detektei und unsere Mitarbeiter ganz herzlich willkommen. Man darf raten, wer dem Fälscher hier den entscheidenden Tipp gegeben hatte. Korruption und Fälschung : Probleme die China in der Welt diskreditieren, die aber auch schier unlösbar sind, da sie bis in die politischen / öffentlichen Bereiche hinein ragen. Übrigens: 7% der in der Welt heute verkauften Produkte sind bereits Imitate, also Plagiate oder Fälschungen. Viele der Leser dieses Artikels reisen regelmäßig nach Asien und freuen sich dann über die Schnäppchen, die sie gemacht haben, wenn sie mit unzähligen billigen Imitaten von den Reisen zurückkommen. Aber: machen Sie, lieber Leser, dann auch Gedanken, dass Sie damit zwar persönlich eine Menge Geld sparen, gleichzeitig aber auch zur Beschleunigung des China-Syndroms beitragen?

Ist China also der Untergang des Abendlandes? Möglich, aber auch unwahrscheinlich, wenn es uns gelingt, uns auf die Stärken unserer Gesellschaft zu konzentrieren:

- Unser hohes Umweltbewusstsein, geprägt durch Aufbau/Ausbau alternativer Energiequellen, steigendem Recycling wertvoller Rohstoffe, ökologisch wertvolle - also gesünder Ernährung, verbesserter Wasser - und Luftqualität, usw.

- Unsere ausgezeichneten Bildungssysteme, von Schule bis Universität bis Berufsausbildung

- Unsere hohe Produktivität in den Betrieben

- Unsere gute und schnelle Logistik: gute Straßen, hohe Technologie in allen Bereichen

- Unsere sprachliche Anpassungsfähigkeit (denn in allen anderen Anpassungsbereichen schlagen uns die Chinesen mit ihrer hohen Leistungsbereitschaft und Leidensfähigkeit um Längen)

- Unserer ausgeklügelten, leider aber auch oft bereits sehr bürokratischen, Organisation

Aber auch ein Appell an alle, die es sich leisten können: kaufen Sie lokale und nicht importierte Produkte und Artikel.

Kaufen Sie bei den Einzelhändlern /Fachhändlern in Lauffen und Umgebung, und nicht bei Media - Märkten, Discountern, 99ct - Läden, usw.

Stärken Sie unsere heimische Wirtschaft durch Ihr Kaufverhalten, denn nur dann tragen Sie dazu bei, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder eine Zukunft haben - und nicht nur die übrigens sehr süßen Kinder Chinas.

R.Roschlau/Shanghai/23.1.2005